Unserer Lichtenhagener Neidköpfe am Seminarhaus-am-Steinkreis

Der 2015 begonnene Anbau am Seminarhaus wurde notwendig, um neben den Zimmern auch zusätzlichen Raum für Seminare bzw- Therapiegruppen anbieten zu können. Dafür hatten wir uns aus dem Dorf Lichten- hagen ein altes Fachwerk sichern können, daß als Stallung abgerissen und einem Neubau weichen mußte. Wir haben danach die Größe des Anbaus berechnet, der dann jetzt im EG als Künstler-Atelier, im 1.OG als Therapieraum und auf dem Dach als Terrasse einen herrlichen Blick in die Weite bietet.

Die von uns selbst durchgeführten Bauarbeiten ermöglichten, an den Fassaden des Gebäudes in alle Himmelsrichtungen Schmucksteine anzubringen, sogenannte "Neidköpfe". Ein Neidkopf ist eine Fratze, Kopf eines Ungeheuers oder ein Tierkopf aus Stein oder Holz an Hausgiebeln oder oberhalb von Torbögen und Türen, um böse Gewalten abzuwehren.

 

Seit frühester Zeit wurden solche Neidköpfe als Abwehrzauber, zum Schutz gegen Unheil an Bürger- und Bauernhäusern, in und an mittelalterlichen Kirchen, an Taufsteinen und am Chorgestühl angebracht. Die Tradition geht wahrscheinlich auf die Kelten zurück. Diese sollen die Schädel ihrer Feinde vor den Begrenzungen ihrer Behausungen aufgespießt haben, um Feinde abzuschrecken. Im keltischen Glauben versprach man sich so Gewalt und Macht über den Geist des Feindes. Auch wurden in ältesten Zeiten auf Stangen aufgestellte Pferdeköpfe angebracht, die den Zweck hatten, böse Einflüsse vom Hause abzuwehren. Wir finden diese geschnitzten Pferdeköpfe noch an niedersächsischen Bauernhäusern, an Stadttoren der Antike und auch häufige Erwähnungen der Neidstangen in den nordischen Sagas. Dieser Kult scheint in der Form der Neidköpfe an Fachwerkhäusern erhalten geblieben zu sein und im Aberglauben des Mittelalters vor Dämonen und anderem schützen zu sollen. Man vermutete die Gefahr im Westen, deshalb wurden die meisten Neidköpfe schon in heidnischer Zeit an der Westseite des Hauses angebracht. So sind Neidköpfe als grimmig dreinblickende Köpfe mit geöffneten Mündern und Figuren, die den Neidern zum Teil auch die Zunge herausstrecken, zu verstehen als Bannungs- oder Abschreckungszeichen, als Spott-, Hohn- und Trutzköpfe, die Eigentum, z.B. vor Blitzeinschlag und Feuersbrunst, und die Bewohner gegen Krankheit, Verwünschungen, Zwietracht, den "bösen Blick" - und natürlich gegen den Neid der anderen schützen sollte.

Der Begriff "NEID" stammt vom althochdeutschen "nid" ab, das für Hass, Zorn oder Neid steht, ein Gefühl, gelblich-grün "wie Gift und Galle", das an uns nagt wie ein böses Geschwür, das die finstersten Triebe freisetzt. Eine Emotion, so alt wie die Menschheitsgeschichte. Kain erschlug seinen Bruder Abel, weil er neidisch war, dass Gott dessen Opfer annahm und nicht seines.

Sieben Laster stellte Papst Gregor der Große (540 bis 604) einst zusammen, die die Abgründe der menschlichen Seele beschreiben: Hochmut, Habgier, Zorn, Wollust, Völlerei, Trägheit – und den Neid. Von allen sieben Todsünden ist er das wohl tabuisierteste Gefühl, weil Neid zerstörerisch wirkt, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Gesellschaft. Neid, führt auch zu Angst, Entmutigung und Lähmung jeder Eigeninitiative und hat immer auch mit eigenem Versagen zu tun, zumindest aber mit der eigenen gefühlten Unzulänglichkeit. Sich das einzugestehen, schmerzt. "Neid und Eifersucht sind die Schamteile der menschlichen Seele" notierte Friedrich Nietzsche in "Menschliches, Allzumenschliches".

Neid kann andererseits aber auch eine wichtige Triebfeder sein, Quelle für Fortschritt und Innovation. In einer Gesellschaft, in der niemand dem anderen etwas neidet, gibt es auch keinen Ehrgeiz und keine Konkurrenz. Und so unterscheiden Neidforscher deshalb zwischen "gutartigem" und "bösartigem" Neid, zwischen ehrgeizig-stimulierender Eifersucht und zerstörerischer Missgunst. 

"Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung", wusste schon Wilhelm Busch. Was wären wir also ohne den Neid? "Wahrscheinlich würden wir einen Großteil dessen verlieren, was es bedeutet, menschlich zu sein", sagt Richard Smith, ein Neidforscher aus Kentucky. "Wenn es uns egal wäre, wie wir in den Bereichen, auf die es im Leben ankommt, im Vergleich zu anderen dastehen, würde der Rebstock der Evolution vertrocknen."

 

So haben wir uns für unser Seminarhaus entschlossen, auch solche Reflektionen zu berücksichtigen, auf solche Traditionen der Fassadendekoration am Bau zurückzugreifen und diese architektonischen Elemente mit eingebaut, sodaß unser Haus einerseits geschützt bleibe für alle Zeit und gegen alle Widrigkeiten des Lebens und andererseits anderen Vorbild sei für den Erhalt unseres kulturellen Erbes und der Weiterentwicklung unseres Dorfes und des Landes und unseres Zusammenlebens.